Zum 31. Oktober



Ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte und mich gefangen nimmt in der Sünde Gesetz. - Röm. 7, 23

Hiervon haben wir leider gar zu deutliche Beispiele in unserem mangelhaften Leben, sowohl hinsichtlich des Glaubens als auch des Wandels. In meinem Gemüte habe auch ich dieses Gesetz, dass ich alles glauben will, was mein allmächtiger Gott gesagt hat, wenn es meiner blinden Vernunft auch noch so unwahrscheinlich wäre. Aber wie geht es? In meiner blinden, hochmütigen Vernunft ist ein anderes Gesetz, das mir zuflüstert: „Dies und jenes ist unwahrscheinlich, ja unmöglich“; und wenn ich die Möglichkeit der Sache nicht sehe, dann zweifle ich an Gottes Wort und „mache Ihn zum Lügner“. Das ist eine grässliche Sünde, die ich nie begehen wollte. Dass ich sie aber dennoch begehe, zeigt, dass ich „in der Sünde Gesetz gefangen genommen werde“. Oder wie steht es damit, die Auferstehung unserer Leiber zu glauben? Deiner Gesinnung nach hältst du das Wort des Herrn hierüber heilig und wahrhaftig und Gott für allmächtig, alles tun zu können, was Er will und was Er gesagt hat. Aber dann kommt ein Augenblick, wo du deine Augen auf einige verweste Gebeine heftest und dabei denkst: „Werden auch unsere Leiber auferstehen? Nein, das ist unmöglich!“ Dann hat das Gesetz, das in deinen Gliedern ist, Augen und Vernunft, dich gefangen genommen. Selbst dem Hauptartikel von der Vergebung der Sünden widerfährt unaufhörlich dasselbe. Du hast deine ganze Seligkeit in deinem Glauben an Jesu Blut, dass es uns rein macht von allen unseren Sünden. Doch bevor du es noch denkst, hast du schon angefangen, auf deine Sünde zu blicken, unter der du am meisten leidest, auf ihre Ungebührlichkeit und Unaufhörlichkeit, und du denkst: „Es müsste doch einmal mit dieser Sünde ein Ende haben, ich sündige noch immer; wie kann ich dann an die Gnade Gottes glauben?“ So bist du bald gefangen in dem Gesetz des Unglaubens und der Vernunft. Auch wenn andere Nöte, Mängel und Bekümmernisse entstehen, sagt dir das Gesetz in deinem Gemüte: „Hoffe auf Gott, Er ist ein allmächtiger, treuer Vater. Fürchte dich nicht, glaube nur!“ Aber dann vernimmst du sogleich ein anderes Gesetz aus deinem ungläubigen Herzen, welches sagt: „Diesem kann doch nicht abgeholfen werden, es ist unmöglich, es ist vorbei“ usw. In dieser Weise erfahren wir unaufhörlich in unserem Kleinglauben, wie das Gesetz in unseren Gliedern uns gefangen nimmt.
Und dies geschieht uns nicht nur mit dem Glauben und der Hoffnung, sondern auch mit dem Wandel. Nach dem Gesetz in meinem Gemüte halte ich Gottes Gebote nicht nur für heilig und für wahrhaftig, sondern sie sind mir auch herzlich lieb. Doch in einem Augenblick werden sie mir wie ein Nichts. Ich kann Gottes Gegenwart weder bedenken noch schätzen. Es ist mir, als ob es keinen Gott gäbe. Es geht mir, wie der Apostel sagt: „Ich weiß nicht, was ich tue; denn ich tue nicht, was ich will, sondern was ich hasse, das tue ich.“ Ich wollte unerschütterlich sanftmütig und mild sein, werde aber plötzlich vom Zorn und von der Ungeduld ergriffen. Ich wollte beständig rein und frei von allen sündlichen Begierden sein, werde aber von der Sünde Gesetz gefangen genommen, so dass ich tue, was ich hasse. Ich wollte gegen alle Menschen demütig sein, wollte geduldig in Trübsal und uneigennützig und himmlisch gesinnt sein; aber plötzlich bin ich aus meiner rechten Gesinnung in einen Zustand versetzt, der mir ein Rätsel und ein Schrecken ist. Das ist gerade das, was der Apostel hier sagt: „Ich werde gefangen genommen in der Sünde Gesetz, das in meinen Gliedern ist.“ Und wer kann sagen, wie schlimm es dann zugehen kann?
Dass der Geist nun dennoch den Sieg behält, hängt davon ab, dass die Seele trotz allem in der heiligen Gesinnung verbleibt, die sich noch fortgesetzt gegen das Fleisch erhebt, gegen die Sünde streitet und in der Reue und dem Glauben wieder vor dem Gnadenstuhl aufgerichtet wird, die aufs Neue wieder Trost, Lust und Kraft zur Fortsetzung des Wandels nach dem Geist empfängt. Es hängt davon ab, dass man durch alle demütigenden Erfahrungen nur um so gottesfürchtiger wird, seine Schwachheit und die furchtbare Macht der Sünde immer tiefer erkennen lernt sowie immer dringender zum Gebet und zum Worte hingetrieben wird, um dort Hilfe zu suchen. Wenn man aber immer mehr vom Gnadenstuhle fernbleibt, sich in der Sünde wohlfühlt und sie zu entschuldigen anfängt, dann zeugt das von einem Rückgang, ja von Schlaf oder Tod. — Wenn dagegen die Sünde dem Geist immer erschrecklicher wird — und gerade die Sünde, die meinem Fleisch am liebsten ist, so dass ich ihr gegenüber schließlich alle anderen Sünden geringachte, mich selber für den unwürdigsten Sünder halte, die Gnade in Christus aber als immer unentbehrlicher schätze —, dann zeugt dies davon, dass der Geist unter allen Kämpfen immer gottesfürchtiger und geheiligter wird. Kommt es dagegen wieder dahin, dass aller Streit aufhört und ich mich nun so gut und fromm finde, wie ich es sein will, dann ist dies gewiss ein Zeichen davon, dass ich eingeschlafen bin und mich still dem Feind ergeben habe. Wenn es in diesem Leben am besten geht, dann geht es so, dass die Sünde nicht tot und müßig, sondern beschwerlich und bedrückend ist, weil ich mich ihrem Willen nicht ergebe, sondern wachend und betend gegen sie kämpfe. Aber dann wird der Streit oft hart und die Not groß. Davon wissen die bezauberten, schlafenden Menschen nichts; denn das ist der Streit, der von denen geführt wird, die um eine Krone kämpfen und bei denen das Gesetz allerlei Lust erregt hat.
Römer 7, 22–23

Ich armer Mensch, kein Wunder, dass ich mich
Nach Freiheit von dem Leib des Todes sehne;
Der alte Sinn, der reget wieder sich,
Wenn ich ihn eben überwunden wähne.
Doch, Gott sei Dank! Der Sieg ist dennoch mein,
Und bald werd’ ich die ew’ge Ruhe finden;
Mein neues „Ich“ dient nicht der Sünde; nein,
Ich werd’ in Jesu Kraft weit überwinden.




Diese Tagesandacht stammt aus dem „Täglichen Seelenbrot“ von Carl Olof Rosenius. Die Andachten des gesamten Jahres sind in Buchform hier erhältlich.


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